Es hört einfach nicht auf…
Es ist Sonntag 23:59 Uhr und mein Laptop zeigt mit einem leisen Pling an, dass wieder ein Lehrer eine Aufgabe auf Teams für uns bereitgestellt hat. Automatisch legt mein Kopfkino los: Zu welchem Fach kam gerade eine Aufgabe? Wie viel ist es und bis wann muss ich das abgeben? Ist das wieder so maßlos viel?
Immerhin gehöre ich zu den Privilegierten, die ein eigenes Zimmer, einen ordentlichen Schreibtisch und sogar ein Smartphone sowie einen Laptop haben und zudem unseren Familiendrucker ansteuern können. Ich habe keine Schwester oder Oma, auf die ich parallel aufpassen muss, und trotzdem fühle ich mich derzeit sehr unter Druck gesetzt.
Mit Beginn des neuen Schuljahres hat sich unsere Schule für eine Plattform entschieden, auf der die Lehrer uns die Aufgaben zur Verfügung stellen. Die Erklärung der Plattform fiel für die Q2 einem Corona-Lockdown zum Opfer mit der Folge, dass wir alle – Lehrer und Schüler – via learning-by-doing versuchen, die Funktionsweise der Plattform zu verstehen. Das sollte ein leichtes sein, ich gehöre ja schließlich zur Generation der Digital Natives. Was ich unterschätzt habe ist, wie zeitraubend dieses Verstehen und Umgehen mit den neuen, komplexen Schulplattform ist. Die übergebenen Aufgaben ordentlich erledigen ist das eine, aber wie viel Zeit für das Finden, Herunterladen, eventuell Ausdrucken, ausformulieren und wieder hochladen draufgeht, treibt mich in den Wahnsinn.
Wo soll ich da noch ausreichend Zeit für eine gute Abiturvorbereitung finden? Die Uhr läuft, ich habe noch nicht einmal die Wochenaufgaben für das nächste Fach gefunden und höre schon wieder das Pling, mit dem eine neu eingestellte Aufgabe angezeigt wird. Es gilt, den Überblick zu bekommen, wo neue Aufgaben eingestellt wurden und bis wann sie abzugeben sind. Versehentlich habe ich auf der Plattform schon in die Aufgabenstellung meiner Lehrerin geschrieben und ungewollt eine Nachricht an die ganze Stufe geschickt. Hinzukommt, dass die Aufgaben zu jeder Tages- und Nachtzeit von den Lehrern versandt werden. Das fordert ordentlich Flexibilität, da es meine Planung, wann ich was bearbeiten will, immer aufs Neue durcheinander wirbelt und die Aufgabe mal bis zum Abend abzugeben sind und ein anderes Mal ein paar Tage Zeit ist.
Im Gegensatz zum ersten Lockdown sind die Aufgaben jetzt notenrelevant, was verständlich ist, aber den Druck weiter erhöht. Im Frühjahr werde ich meine Abiturklausuren schreiben, daher zählt jetzt jede Note besonders. Dies stellt eine weitere Herausforderung dar, weil die mündliche Beteiligung in Online-Session einen Teil der Note ausmacht, aber unter besonderen Konditionen abläuft. Jeder muss sich erstmal mit dem Handling der Online-Session anfreunden. Zig mal am Tag heißt es „Du bist auf stumm geschaltet“ oder „Ich höre nichts“ . Ich melde mich die ganze Zeit, wieso zeigt die Plattform die Handmeldung mal an und mal nicht? Irgendwo scheint da ein bislang nicht erkannter Fehler in der Software zu sein.
Wer mit Web-Konferenzen arbeitet, kann mit Sicherheit bestätigen, dass diese Art der Kommunikation aus der Natur der Sache her anstrengend ist – auch wenn alle die Kamera offen haben, falls die Leitung das hergibt. Es ist einfach mühsamer und deutlich weniger effektiv als gemeinsamer Unterricht im Klassenraum. Mal gibt die Leitung einfach nicht mehr her, so dass der Online-Unterricht ständig abbricht, ein anderes Mal passt die Art der Stoffvermittlung einfach nicht zum Medium.
Zudem verlangt uns die Unklarheit, wie die nächsten Wochen verlaufen werden, einiges ab und erhöht den Druck zusätzlich. In den Nachrichten hieß kürzlich, dass der Lockdown noch mindestens bis zum 15.2.2021 andauern wird. Die Tagesschau zeigt, dass Schüler der Abschlussklassen in Israel jetzt schon geimpft werden und meine Freundin in Hessen, auch im Abiturjahrgang, erzählt, dass sie schon längst wieder in die Schule geht. Soviel zum Thema „gleiche Bedingungen für Alle“.
Da hilft es nicht wirklich, wenn sich realitätsferne Politiker dahin stellen und sagen, dass uns das abhärtet und spätere Arbeitgeber diese Herausforderung bestimmt berücksichtigen werden. Das vergleichsweise kleinere Übel ist, dass unser letztes Jahr in der Schule dem Ende zugeht – ohne die heißbegehrte Abschlussfahrt sowie die Abifinas und auch der Abiball ist in Gefahr.
Alles in allem hat Corona der Digitalisierung unserer Schule einen ordentlichen Schub gegeben, was dringend notwendig war. Es wäre besser gewesen, wenn dieser zeitraubende Schub nicht gerade in den letzten Monaten vor meinem Abitur erfolgen würde. Ich will niemandem die Schuld geben, schließlich hat uns Covid alle mehr als überrascht. Zudem höre ich auch, dass es Schülerinnen und Schüler gibt, die sich von dem Home-Schooling nicht so unter Druck setzen lassen und gut mit dieser Art zu arbeiten umgehen können. Daher kann ich hier nur für mich sprechen. Wenn ich wünschen dürfte, dann würde es mir helfen, wenn unsere Lehrer realistischer einschätzen würden, wie lange eine Aufgabenerledigung tatsächlich benötigt und sich auch untereinander besser abstimmen würden, wie viel sie uns an Aufgaben geben.
Ebenso denke ich, dass unsere Lehrer auch einige Wünsche ans uns haben. Auch sie mussten sich von heute auf morgen sehr schnell in die neue Situation einfinden. Ein Miteinander und ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch wäre bestimmt der richtige Weg, um das Home-Schooling für alle so erträglich wie möglich zu machen. Apropos 23:59 Uhr: Es gibt Firmen, die bewusst nachts ihr firmeneigenes Netz während bestimmter Kernzeiten ausschalten, damit auch wirklich Ruhe einkehrt. Ich höre schon wieder eine Teams-Benachrichtigung. Die nächste Aufgabe ruft und der Abgabetermin will eingehalten werden.
Kommentar einer Abiturienten 2021